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Mädchen, die an ADHS leiden


Geht es um die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung – besser bekannt unter der Abkürzung ADHS –, haben viele Menschen schnell ein Bild im Kopf: ein Kind, das nicht still sitzen kann, laut ist, für Unruhe sorgt und andere stört. Umgangssprachlich werden diese Kinder oft als „Zappelphilipp“ bezeichnet. Damit hat die Störung nicht nur einen Namen, sondern auch gleich ein Geschlecht bekommen: Sie ist männlich.

Unterschiedliche Symptome

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Aber ADHS kann auch deutlich anders aussehen: leise, verträumt, verunsichert und doch hilflos, wenn es um die Ordnung von wichtigen Aufgaben und ihre Erledigung geht. Solche Kinder fallen weniger auf als laute Störenfriede. Sie leiden aber genauso unter den Schwierigkeiten, die ihr Anderssein mit sich bringt. Und das betrifft vor allen Dingen Mädchen, deren Aufmerksamkeitsdefizit sich ganz anders zeigen kann als bei Jungen.

Bei ADHS gibt es drei Hauptsymptome, die verschieden stark ausgeprägt auftreten können: Hyperaktivität (diese kann sich auch in starkem Redefluss, Händekneten oder Nägelkauen äußern), Unaufmerksamkeit und Impulsivität (wie zum Beispiel ein plötzlicher Weinkrampf oder Wutanfall). In Fachkreisen wird ADHS inzwischen immer mehr als Spektrum-Störung bezeichnet, da sich diese drei Symptome von Mensch zu Mensch komplett verschieden ausprägen können. Bei Mädchen überwiegt oft ein eher untypisches Bild dieser Störung.

Emotionale Schwankungen ab dem Schulalter

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ADHS-VERSTEHEN

„Im Kindergartenalter fällt den Eltern eher nichts auf, sie empfinden ihr Kind als ruhig, vielleicht ein bisschen verträumt. Man hört und sieht sie kaum“, beschreibt es Dr. Kirsten Stollhoff. Stollhoff ist Kinderärztin und Neuropädiaterin aus Hamburg und auf die Behandlung von Kindern mit ADHS spezialisiert. Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten berichten vielleicht davon, dass das Kind sich gerne zurückzieht, allein spielt und öfter Anleitung braucht. Ansonsten gibt es aber wenig Auffälligkeiten.

Mit Schuleintritt ändert sich das aber oft, vor allem zu Hause, wie Stollhoff beschreibt: „Die Kinder fangen an, häufig emotionale Schwankungen zu zeigen, bekommen zum Beispiel Weinanfälle aus nichtigen Gründen. Die Eltern bemerken dann, dass ihr Kind sehr langsam ist, vor allem unter Zeitdruck. Morgens werden sie nie fertig, dauernd muss man sagen: Beeil dich, mach doch mal. Sie brauchen permanente Anleitung.“

Erschöpfung im Alltag

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In der Schule sind die betroffenen Mädchen wiederum fast unsichtbar, haben oft wenige Freundinnen, sind langsam im Arbeitstempo, befinden sich aber trotzdem permanent am Limit. „Die Kinder sind mit Reizen überfordert und versuchen sie auszublenden, damit sie es allen recht machen können – Eltern wie Lehrkräften. Das heißt, sie strengen sich wahnsinnig an“, so Expertin Stollhoff.

Und so kommen betroffene Mädchen nach einem Schultag häufig sehr erschöpft nach Hause. Auch die Hausaufgaben fallen ihnen oft schwer, weil sie die Aufgabenstellungen nicht verstanden oder mitbekommen haben. „Alles, was in der Schule gemacht wurde, ging an dem Kind mehr oder weniger vorbei. Dieses permanente Erschöpftsein, dieses ewige An-den-Hausaufgaben-Sitzen, diese Misserfolge führen auch dazu, dass die Mädchen soziale Außenseiterinnen werden“, erläutert Stollhoff. Betroffene Mädchen können Angststörungen oder Depressionen entwickeln, was auch im späteren Leben häufige Nebendiagnosen einer ADHS sind.

Diagnose in speziellen Zentren

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Nun hat nicht jedes verträumte oder sich verspätende Mädchen ADHS. Das bestätigt auch Stollhoff: „In dem Alter ist das ganz schwierig von einer Reifungsverzögerung zu unterscheiden. Dann ist der Verlauf wichtig. Kinder, die nur verträumt sind, schaffen es trotzdem, im Alltag gut zurechtzukommen. Sie werden pünktlicher und schaffen es auch, rechtzeitig mit den Aufgaben fertig zu werden. Da ist eine Entwicklung drin.“ Bemerkt man, dass die eigene Tochter diese Bewältigung des Schulalltags mit der Zeit nicht schafft, sollte man sich Hilfe suchen. Die kinderärztliche Praxis kann die erste Anlaufstelle sein, eine spezielle Diagnostik erfolgt aber häufig in spezialisierten Zentren oder Ambulanzen.

Hier werden verschiedene Tests durchgeführt. Allerdings sind die Fragebogen oft mehr auf die Symptomatik ausgerichtet, wie man sie häufiger bei Jungen mit ADHS findet: lautes, störendes Verhalten mit viel körperlicher Unruhe. Trotzdem ist es möglich, herauszufinden, ob ein eher ruhiges Kind an ADHS leidet. „Die Mädchen haben genau wie die Jungs Probleme mit dem Aufnehmen, Speichern und Ordnen von Informationen. Die Gedanken schweifen immer wieder ab und sie können sich nicht auf eine Sache fokussieren. Wenn sie zum Beispiel Zahlen rückwärts aufsagen müssen, fällt auf, dass sowohl Jungen als auch Mädchen das nicht in der richtigen Reihenfolge können. Dies lässt darauf schließen, dass das Arbeitsgedächtnis nicht alters­gemäß funktioniert“, so Stollhoff.

Offener Umgang mit ADHS

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Bei der Therapie der ADHS sollten verschiedene Ansätze verfolgt werden. Es ist wichtig, dass das Umfeld – Familie und Schule – über die Diagnose Bescheid weiß und miteinbezogen wird. Mit Lehrkräften und Schulleitungen können zum Beispiel Lernausgleiche besprochen werden, vielleicht helfen Rückzugsmöglichkeiten oder Hilfsmittel wie Kopfhörer, um sich besser konzentrieren zu können. Für Eltern gibt es unterstützende Trainings und Erziehungsberatungen, in denen sie lernen können, besser auf ihr Kind einzugehen. Den Umgang mit plötzlichen Gefühlsausbrüchen, Ängsten oder Traurigkeit kann das Kind in einer Verhaltenstherapie lernen. Schließlich stehen auch Medikamente zur Verfügung, die die Konzentration deutlich verbessern können. Diese dürfen aber nur darauf spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschreiben. Eine Medikamentengabe sollte zudem immer ergänzend zu anderen Maßnahmen sein.

Zwar ist ADHS eine Störung, die nicht geheilt werden kann – viele Betroffene gewinnen ihr aber auch positive Seiten ab, wie gesteigerte Kreativität, Energie oder Empathie. Vor allem, wenn sie Unterstützung und Therapie erhalten. ADHS bedeutet anders zu sein – aber nicht schlechter.

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Author: Yesenia Wood

Last Updated: 1703270162

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