Aptamer mit Globuli?
(03.08.2023) Endlich beginnt Berlin Cures die klinische Prüfung von BC 007 bei Long-COVID. Ein Studienstandort ist das anthroposophische Krankenhaus Havelhöhe.
Seit zwei Jahren ruht die Hoffnung vieler Long-COVID-Betroffener (und auch vieler ME/CFS-Erkrankter) auf fünf Zeichen: BC 007. Die Substanz mit dem markanten Namen neutralisiert jedoch keine zwielichtigen Unterweltbosse – wie ein gewisser Geheimagent –, sondern funktionelle Autoantikörper (fAAB). Diese bedrohen, wie die Gegner von James Bond, die Gesundheit von unbescholtenen Bürgern. Und zwar, indem sie G-Protein-gekoppelte Rezeptoren binden und aktivieren. Dadurch erzeugen sie einen permanenten physiologischen Reiz, den es eigentlich gar nicht gibt – das betroffene Organ, etwa das Herz, wird in Mitleidenschaft gezogen.
Auf diese spezielle Untergruppe von Autoantikörpern stießen die Ost-Berliner Forscher Gerd Wallukat und Albert Wollenberger bereits 1987 am damaligen Zentralinstitut für Herz-Kreislaufforschung (Biomed Biochim Acta, 46(8-9):S634-9). Anfang der 2000er-Jahre begaben sich weitere Berliner Forscher auf die Suche nach einem wirkungsvollen Neutralisator dieser Autoantikörper und wurden bei Aptameren – einzelsträngigen DNA-Oligonukleotiden – fündig. 2014 gründeten einige der beteiligten Forscher und Forscherinnen Berlin Cures – ursprünglich, um chronische Herzschwäche zu behandeln; zwei Jahre später erschien das entscheidende Paper: „Aptamer BC 007 – A broad spectrum neutralizer of pathogenic autoantibodies against G-protein-coupled receptors“ (Eur J Pharmacol, 789:37-45).
In Sesselkonformation
Eine Coronavirus-Pandemie, oder gar Long-COVID, hatte damals wohl niemand aus dem Berlin-Cures-Team auf dem Schirm. Doch das Virus eröffnete dem Unternehmen ganz neue Möglichkeiten für seinen Wirkstoff-Kandidaten. Zunächst als Prophylaktikum oder Therapeutikum gegen eine akute Virus-Infektion. „Laut NMR-spektroskopischen Daten bindet BC 007 an Proteine der Aufnahme und Replikation von SARS-CoV-2. Wie schon mit GPCR-Autoantikörpern verändert es dabei seine lineare Konformation auf charakteristische Weise hin zu einer Sesselstruktur. […] Dank seiner Nukleinsäure-Natur ist es wasserlöslich, könnte als Spray also leicht über Mund und Nase inhaliert werden,“ so Peter Göttel (heute: COO) im Herbst 2020 im Laborjournal („Wenn SARS-CoV-2 am Herzen liegt“, LJ 10/2020). Auch die ersten Patente gingen eher in diese Richtung.
Gemeinsam mit Bettina Hohberger und Julia Fürst von der Uni bzw. Uniklinik Erlangen gelang 2021 aber auch der Nachweis von funktionellen Autoantikörpern in Patienten mit anhaltenden Long-COVID-Symptomen. „All 31 former COVID-19 patients had between 2 and 7 different GPCR-fAABs that acted as receptor agonists,“ stellte die Firmen-Uni-Kollaboration fest (J Transl Autoimmun, 4:100100). Unter den betroffenen GPCRs waren der β2-Adrenozeptor, der α1-Adrenozeptor, der Angiotensin-AT1-Rezeptor, der Nociceptin-like Opioid-Rezeptor und der muskarinerge Acetylcholinrezeptor 2.
Aufwendige Herstellung
Zur Freude des Unternehmens und der beteiligten Wissenschaftlerinnen verliefen die ersten Heilversuche mit BC 007 bei Long-COVID-Patienten am Uniklinikum Erlangen äußerst erfolgreich. Nach einmaliger Infusion normalisierten sich verschiedenste Symptome wie Erschöpfung, Konzentrationsschwäche, Geschmacksverlust und Bluthochdruck. „Ich kann es noch gar nicht glauben – mir geht es glänzend“, zeigte sich einer der behandelten Patienten begeistert.
Grund genug, das Aptamer nun auch im größeren Maßstab klinisch zu prüfen. Zunächst jedoch nur in der Indikation Long-COVID und speziell für Patienten mit Fatigue-Symptomatik. „Sobald wir über weitere zusätzliche Ressourcen verfügen, werden wir die Erprobung [...] für weitere Indikationen vorantreiben können“, teilt uns Berlin Cures auf Anfrage mit. Denn unter anderem sei der Produktionsprozess des Aptamers bei externen Herstellern zeitaufwendig und teuer. „Für die klinische Studie der Phase 2 ist [aber] ausreichend Wirkstoff verfügbar“, heißt es aus Berlin.
Und genau diese klinische Phase-2-Studie hat Anfang Juli begonnen. Denn dass das Aptamer gut verträglich ist und Nebenwirkungen kaum auftreten, hatte Berlin Cures schon in einer Phase-1-Studie an gesunden Probanden gezeigt. Eine darauffolgende Phase-2-Studie bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz konnte Ende 2022 ebenfalls abgeschlossen werden. Diese Studie fand an einem Krankenhaus in Belgrad (Serbien) statt.
Moment mal!
Die Long-COVID-Studie soll nun multinational und multizentrisch (sowie randomisiert, doppelt verblindet und Placebo kontrolliert) durchgeführt werden, um genau zu sein, an 20 Zentren, in fünf Ländern und mit 114 Patienten. Auch in Deutschland. Die ersten Patienten, so schreibt es die Berliner Firma stolz auf ihrer Website, seien schon aufgenommen worden, und zwar an der Uniklinik Münster und dem Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe im Südwesten von Berlin. Zuständige Kontaktpersonen in Münster: Michael Mohr aus der Pneumologie; in der Havelhöhe: Harald Matthes. Harald Matthes, Krankenhaus Havelhöhe? Da klingelt doch was. Richtig, die Havelhöhe ist nicht irgendein Krankenhaus, sondern ein anthroposophisches Krankenhaus und Harald Matthes nicht irgendein Mediziner, sondern unter anderem Präsident der Deutschen Akademie für Homöopathie und Naturheilverfahren.
Wieso arbeitet eine Biotech-Firma ausgerechnet mit einem anthroposophischen Krankenhaus zusammen? Einem Krankenhaus, dessen Leitungsebene, laut einem taz-Bericht, vor allem aus „überzeugten Anthroposoph:innen“ besteht. Dessen Ärztlicher Leiter und Ansprechpartner der klinischen Studie im letzten Jahr mit unseriösen Studien zu angeblichen Impfnebenwirkungen der Corona-Vakzine die Charité in Bredouille brachte und bei Long- bzw Post-COVID unter anderem „Störungen und Dissoziationen im Kräftegefüge des Patienten“ diagnostiziert.
Nierenwickel zur „Entängstigung“
Zur Behandlung von Long-COVID-Patienten empfehlen Matthes und seine Anthro-Mediziner-Kollegen übrigens eine integrative Therapie. Neben Medikamenten beinhaltet diese unter anderem zur „Entängstigung“ des Patienten Herzauflagen mit Aurum/Lavandula-Salbe, Baucheinreibungen mit Oxalis-Öl, Nierenwickel mit Ingwer und ein Fußbad mit Lavendel. Gegen den Husten wird „Roseneisen/Graphit“ angepriesen, dreimal wöchentlich subkutan gespritzt oder zwei- bis dreimal täglich in Form von 10-15 Globuli geschluckt. Berlin Cures teilt uns über die Auswahl der Studienstandorte mit: „Klinische Studien müssen professionell und hochwertig durchgeführt werden, da das Wohl der Patienten im Mittelpunkt steht. Deswegen werden die Prüfzentren basierend auf ihrer Erfahrung und ihres Fachwissens in Bezug auf klinische Studien, der Verfügbarkeit der für die Studie notwendigen Zielgruppe sowie der Erfahrung des Prüfarztes im betreffenden Krankheitsbereich ausgewählt.“
Wenig Erfahrung
Laut dem Klinische-Studien-Register clinicaltrials.gov hat das Krankenhaus Havelhöhe neben der Long-COVID-Studie bisher ganze 15 klinische Studien durchgeführt, davon neun Interventionsstudien. Eine zur Apherese, vulgo Blutwäsche, von C-reaktivem Protein (CRP) bei COVID-19-Patienten, ist aktuell zurückgezogen, weil es nicht genug Patienten gibt. Zwei weitere sind als „terminated“ gekennzeichnet. Bleiben sechs, von denen fünf abgeschlossen wurden. Zwei Studien zu Herzerkrankungen aus den Jahren 2018 und 2022 sowie zu Lungenerkrankungen (Emphysema, Lungenkrebs) aus den Jahren 2012, 2015 und 2022. Interessant: Das dem Krankenhaus angeschlossene Forschungsinstitut Havelhöhe ist ebenfalls mit einer „klinischen Studie“ aus dem Jahr 2013 vertreten. Das anthroposophische Arzneimittel abnobaVISCUM Mali 20 mg – ein 1-ml-Auszug aus frischem Apfelbaummistelkraut, wobei sich die 20 mg nicht auf den Wirkstoff, sondern die Menge an frischem pflanzlichem Ausgangsmaterial beziehen – sollte sich in einer Phase-3-Studie bei malignem Pleuraerguss erweisen, und zwar nicht randomisiert, nicht verblindet und ohne Kontrollgruppe. Fassen wir zusammen: Über allzu viel Erfahrung in der klinischen Prüfung scheint die Havelhöhe nicht zu verfügen.
Unklare Auswahl
Wie sieht’s dann mit der COVID-spezifischen Expertise aus? Sucht man auf der Klinik-Website nach „Corona*“ oder „COVID“ erscheint nur ein Hinweis für Schwangere, die sich bei Fragen an den Berufsverband der Frauenärzte wenden sollen. Eine spezielle Abteilung für COVID- oder Long-COVID-Patienten scheint es nicht zu geben. Im Gegensatz zu manch anderen Kliniken, die Post-COVID-Ambulanzen eingerichtet haben – und von Patienten geradezu überrannt werden (siehe dazu auch „Es fehlt jedwede politische Akzeptanz“ vom 05.06.2023 auf LJ online). Kaum Erfahrung bei klinischen Studien und keine offensichtliche Spezialisierung auf COVID oder Long-COVID – es bleibt unklar, warum das Berliner Krankenhaus zu den ausgewählten Prüfzentren gehört.
Neben der Havelhöhe fällt unter den Studienstandorten ein weiterer Name auf: das Klinikum Floridsdorf in Wien. 2018 machte es Schlagzeilen, weil es einen „Energetiker“ dafür bezahlt hat (fast 100.000 Euro), einen „Schutzring“ um das neu gebaute Krankenhaus zu legen, der es „in den natürlichen Umgebungsplan von Mutter Erde“ einbettet. Den Verantwortlichen wurde gekündigt.
Und was ist mit Erlangen? Bislang fehlt das Universitätsklinikum, das zweifellos die meiste Erfahrung mit BC 007 bei Long-COVID hat, auf der Liste der Studienstandorte. Allerdings, so das Klinikum in einer E-Mail, sei eine Medikamenten-Studie mit dem Aptamer, die reCOVer-Studie, aktuell in einer „intensiven Planungsphase“.
Kathleen Gransalke
Bild: Pixabay/Young_Kim
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Author: Angela Nelson
Last Updated: 1703402403
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